Aufgaben und Selbstverständnis heutiger Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften

(Text von 1987 der hinsichtlich seiner politischen und ökologischen Aussagen immer noch aktuell ist. Anm. Th. Albrecht, BAG der LK)

"Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften sind Selbsthilfegruppen, die aus einem ökologischen Ökonomieverständnis gewachsen sind mit dem Ziel, die gegenwärtig herrschende, auf langer Sicht lebensfeindliche Ausbeutungswirtschaft von Natur und Menschen an der Basis zu beenden. Sie sind ökologische Entwicklungsprojekte, die für jeden einzelnen nachvollziehbar sind. Ein behutsamer und bewahrender Umgang mit der Natur sowie eine den schöpferischen Bedürfnissen des Menschen gerecht werdende Produktion schließt sowohl eine rücksichtslose industrielle Massenproduktion als auch den dazu gehörigen rücksichtslosen Konsum aus. - So ergibt es sich, dass in Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften (EVG) überwiegend bäuerliche und handwerkliche Erzeuger sowie verantwortungsbewusste Verbraucher (sog. "politische Verbraucher") aufeinander zugegangen sind.

Grundprinzipien der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften:

Erzeuger und Verbraucher sind nicht Angehörige gegensätzlicher Interessengruppen, sondern unmittelbar aufeinander angewiesen.

I Abbau der Anonymität bedeutet:

Gegenseitige Kenntnis der Lebensbedingungen und Bedürfnisse. Transparenz hinsichtlich Produktionsmethoden bzw. Anbauweise. Offenlegung der Preisgestaltung.

II Qualitätskontrolle

 Die Qualität der Erzeugnisse wird nicht in erster Linie durch die Deklaration gewährleistet, sondern sie wird viel zuverlässiger gesichert, durch Qualität menschlicher Beziehungen zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Zu wissen, für wen ich etwas mache, ist etwas anderes, als die "kontrollierte" Produktion für einen anonymen Markt (Qualitätssicherung durch Abbau der Anonymität).

III Die Suche nach einem gerechten Preis lässt sich nicht in erster Linie von den herrschenden Marktwerten leiten. Sie muss sich vielmehr an den Lebensbedingungen und finanziellen Möglichkeiten sowohl der Erzeuger als auch der Verbraucher orientieren. Die Preise sollen gleichermaßen Erzeugern und Verbrauchern gerecht werden.

IV Gegenseitige Zuverlässigkeit oder das Risiko der Erzeugung gemeinsam tragen.

In gemeinsamen Wirtschaftsunternehmen bleiben Erzeuger und Verbraucher eng aufeinander bezogen, sowohl in der Produktplanung als auch in der Nachfrage. Der Erzeuger wird nicht auf seinem Produkt "sitzengelassen" und auch nicht gegen einen billigeren Anbieter ausgespielt. Der Motor der Ökonomie ist nicht Konkurrenz, sondern die gegenseitige Fürsorge auf der Basis intakter menschlicher Beziehungen.

V Die Versorgung der Verbraucher mit "gesunden Nahrungsmitteln" - soweit das in der Macht der Erzeuger steht.

Es kann kein Zweifel darin bestehen, dass es gesunde Lebensmittel, die völlig frei sind von Rückständen bzw. Metaboliten aus dem chemischen Pflanzenschutz , von Schwermetallen und anderen Immissionen industrieller Produktion oder des Kfz-Verkehrs nicht geben wird, so lange Produktion und Lebensgewohnheiten nicht insgesamt auf ökologische Methoden umgestellt sind. Die Nachfrage nach gesunden Lebensmitteln wird hierdurch zur Forderung einer ökologischen Produktionsweise nicht nur im Sinne des biologischen Land- und Gartenbaus sondern in allen Bereichen der Produktion. Für den Verbraucher folgt hieraus eine radikale Umstellung seiner Lebensweise. Maßgeblich ist nicht mehr allein Qualität und "Gesundheit" eines Erzeugnisses, sondern die ökologische Qualität seiner Erzeugung. Die hierzu notwendigen Kriterien sind umfangreich und verlangen einen hohen Grad von Information.

VI Bevorzugung einer regionalen Versorgung

Um die Transportwege kurz und damit den Energieeinsatz für die Verteilung niedrig zu halten.

Um einen häufigen und direkten Kontakt zwischen Erzeugern und Verbrauchern zu ermöglichen.

VII Ausrichtung der Ernährungsgewohnheiten auf die Saison, auf das, was z. Zt. wächst, unter Verzicht auf Lebensmittel, die unter erheblichem Energieeinsatz in Treibhäusern gezogen oder aus Ländern der 3. Welt über lange Wege transportiert werden müssen. Im Hinblick auf die Wintermonate gehört hierzu die Wiederbelebung einer reichhaltigen Vorratswirtschaft.

VIII Gänzlicher Verzicht auf eine Fleischproduktion, die den Einsatz von Futtermittelimporten notwendig macht und Reduzierung des Fleischkonsums auf ein Maß, wie es der im Kreislauf des biologischen Landbaus sinnvollen und artgerechten Tierhaltung entspricht. Eine weitgehend lakto-vegetabile Ernährung muss auch aus gesundheitspolitischer Sicht bevorzugt werden.

IX Als Entwicklungsprojekte haben Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften eine gemeinsame, überregionale bzw. internationale Identität. Der Grundsatz, nicht auf Kosten oder zum Schaden anderer zu leben und die Lebensgrundlagen im eigenen Lande zu suchen, schafft die Vorraussetzung dafür, dass auch andere Völker aus ihrem eigen Land leben können.
Der Handel mit der 3. Welt beschränkt sich aus der Sicht der EVG's auf einen möglichst gerechten Handel mit Entwicklungsprojekten in der 3. Welt - meist kleinbäuerliche oder handwerkliche Kooperativen bzw. Genossenschaften. Über Preise, die den dortigen Lebensbedürfnissen gerecht werden, sollen sie in ihrer Entwicklung aus der Abhängigkeit des Welthandels unterstützt werden.
Angesichts der großen Entfernungen bleiben wir hier jedoch auf die Zusammenarbeit mit entwicklungspolitischen Organisationen gleicher Zielsetzung angewiesen, die in der Lage sind, sich mit den Verhältnissen dort unmittelbar vertraut zu machen." (Auszug aus der "Altenkirchner Erklärung" der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften, 1. Entwurf, Mai 1987)

Ullrich Draub